Ausgebrannt
Sehr geehrte Frau Tiede, sehr geehrter Herr Dr. Letzner,
ich komme mal gleich auf den Punkt: Wir haben die Schnauze voll und zwar gestrichen.
Wir
sind
ausgebrannt.
Und
mit
`wir`
meine
ich
nicht
nur
unsere
Praxis,
sondern
-
soweit
mein
Blick
reicht
-
auch
die
anderen
zahnärztlichen
Kollegen,
sehr
viele
ärztliche
Kollegen
und
ebenfalls
die
meisten
anderen
gesundheitsberuflich
tätigen
Menschen
in
unserem
Umfeld.
Dies
ist,
wie
sicherlich
vorstellbar,
keine
Momentaufnahme,
sondern
Ergebnis
eines
langen
Entwicklungsprozesses,
den
ich
bereits
mehrfach
in
den
mindestens
letzten
15
Jahren
beschrieb.
Festzustellen
ist
ebenfalls,
dass
der
Abwärtstrend
in
unserem
Tätigkeitsbereich
nur
ein
beklagenswerter
von
vielen
innerhalb
der
Gesellschaft
ist,
die
bei
einem
exponentiell
zunehmenden
Verfall
von
Werten
und
Traditionen
sowie
auf
einem
Höhepunkt
an
Politikverdrossenheit
darauf
baut,
dass
wir
innerhalb
einer
immer
mehr
oktroyierten
altruistischen
Handlungsweise
bis
zu
unser
eigenen
Selbstzerstörung
dieses
sterbende
System
der
Besitzklammerung,
rein
monetär
ausgerichteten,
reformunwilligen
Arbeitsweise
am
Leben erhalten.
Unser
Kreis
Nordwestmecklenburg
ist
mit
mittlerweile
nur
noch
66%
Niederlassungsquote
wohl
das
Extrembeispiel
einer
besonders
im
ländlichen
Gebiet
rasant
abnehmenden
Tendenz.
80%
der
zahnärztlichen
Niederlassungsgebiete
in
M-V
liegen
in
der
Quote
unter
100%,
die
meisten
davon
deutlich
mit
einem
seit
vielen
Jahren
unumkehrbaren
negativen
Trend.
Hier
folgen
wir
in
einem
zeitlich nur noch geringen Abstand der Entwicklung im gesamten Gesundheitssektor fern der Ballungsgebiete.
Das
Ergebnis
dieser
Abwärtsspirale
war
lange
vorauszusehen,
ist
trotzdem
erschreckend
und
aus
meiner
Sicht
auch
nicht
mehr
abwendbar.
Einen
wirklich
konstruktiven,
offenen
Willen
zu
bedeutenden
Veränderungen
kann
ich
nicht
erkennen.
Den
Verantwortlichen
fehlt
seit
Jahren
jeglicher
Basisbezug
auch,
weil
politische
Überzeugungen
und
Sachzwänge
die
fachliche
Kompetenz
töten.
Innerhalb
unseres
Praxisalltags
sind
Neuaufnahmen
von
Patienten
unmöglich.
Nach
meiner
Kenntnis
betrifft
dies
alle
Praxen
zumindest
in
Grevesmühlen,
deren
Zahl
sich
während
der
letzten
zehn
Jahre
von
zwölf
auf
fünf
mehr
als
halbiert
hat.
Ich
habe
fast
täglich
Anrufe
oder
persönliche
Vorstellungen
von
Menschen
in
der
Praxis,
die
dringend
einen
Zahnarzt
suchen,
diesen
aber
nicht
finden,
genauso
wenig
wie
eine
Betreuung
im
ärztlichen
Bereich.
Selbst
die
Betreuung
unseres
eigenen
Patientenstammes
ist
nicht
mehr
in
Gänze
zu
gewährleisten,
da
Termine
über
Wochen
und
Monate
ausgebucht
sind.
Diese
Probleme
sind
mental
erdrückend
und
entsprechen
nicht
unserem
ethisch-moralischen
Anspruch
an
die
ärztliche
Tätigkeit.
In
dieser
Situation
der
völligen
Überlastung
kommt
es
vermehrt
auch
zur
Ablehnung
von
Schmerzbehandlungen
praxisfremder
Patienten
durch
uns,
da
Behandlungsfehler
nicht
mehr
ausgeschlossen
werden
können,
weil
die
eigene
Gesundheit
bereits
über
einen
langen
Zeitraum
leidet.
So
oder
so
ist
dieser
Zustand
nicht
mehr
zu
verantworten.
Ich
kenne
mittlerweile
Kollegen,
die
sich
vermehrt
nicht
nur
mit
Schmerz-,
sondern
auch
Schlafmitteln
und Psychopharmaka über Wasser halten - solche Zustände sind
unzumutbar.
Urlaubsvertretungen können in vielen Fällen nicht mehr gewährleistet/gefunden werden, obwohl dies eigentlich mit berufsrechtlichen Konsequenzen sanktioniert werden müsste.
Die
Notdienstfrequenzen
(bei
denen,
schon
jetzt
geschehen,
die
Menge
der
behandlungsbedürftigen
Fälle
durch
die
Gesamtsituation
in
Zukunft
weiter
enorm
anwachsen
wird)
nehmen
in
erheblichem
Maße
zu
und
haben
zu
einem
eklatanten
Missverhältnis
zwischen
ländlichen
und
Ballungsgebieten
geführt.
Rechtlich
mindestens
bedenklich,
aus
meiner
Sicht
sogar
klagenswert
sind
diesbezüglich
die
Fakten
a)
Nichtvergütung
oder
nicht
adäquate
Vergütung
des
Notdienstes
und
der
Bereitschaftszeiten
(auch
wenn
dies
vielleicht
über
den
Punktwert
reguliert
sein
sollte,
führt
das
System
zu
einer
Ungleichstellung
von
Kollegen),
b)
das
nur
tolerierte
System
der
pausenlosen
Abfolge
von
Arbeits-
und
Bereitschaftszeiten
sieben
Tage
am
Stück
(für
angestellte
Ärzte
seit
vielen
Jahren
vom
EuGH
verboten),
c)
die
in
der
Notfalldienstverordnung
verankerte
Regel,
dass
man
sich
im
Krankheitsfalle
selbst
um
eine
Vertretung
zu
bemühen
habe
-
eine
unrealistische
und
auch
rücksichtslose
Vorschrift,
die
im
Übrigen
die
Gesamtverantwortung
aus
der
Verwaltungsebene
mit
Druck
immer
weiter
nach
unten
delegiert
-
nicht
verwunderlich,
dass
auch
Kreisstellenvorsitze
nicht
mehr
besetzt
werden
können.
Da
es
durch
die
Gesamtzustände
auch
im
Alltag
bei
Schmerzfällen
zu
vermehrt
unkontrollierten/unterminierten
Zugängen
in
die
Praxen
kommt,
sind
reguläre
Therapien
in
ihrer
Durchführung
fortschreitend
negativ
beeinflusst
oder
gefährdet
und
es
entsteht
eine
Situation,
die
den
Erfolg
der
zahnärztlichen
Heilkunde
immer
weiter
infrage
stellt,
weil
wir
den
Erfordernissen
mehr
und
mehr
hinterherhinken
anstatt
eine
normale
oder
alternativ
vorausschauende,
gar
prophylaktische
Behandlung
realisieren
zu
können.
Dadurch
potenziert
sich
der
Behandlungsbedarf
mit
der
Zeit
erheblich.
Ein
weiteres
Störfeuer
für
die
ohnehin
unhaltbaren
Zustände
ist
der
Zustrom
von
Flüchtlingen
in
die
ländlichen
Gebiete
ohne
infrastrukturelle
und
medizinische
Betreuungskapazitäten,
die
zusätzlich
mit erheblichem organisatorisch-bürokratischen Aufwand integriert werden sollen, ohne dafür weitere Mittel bereitzustellen, im Gegenteil, sie sollen nach Herrn Lauterbach noch gekürzt
werden.
In
der
Thematik
der
Telematikinfrastruktur
treibt
man
seit
Jahren
quasi
schon
fast
in
Monatsabständen
eine
neue
Sau
durchs
Dorf,
ohne
dass
sowohl
Technik
als
auch
Software
hinreichend
auf
Praxistauglichkeit
und
Stabilität
geprüft
sind.
Da
wir
mittlerweile
im
Notfalle
bei
der
Komplexität
und
Kompliziertheit
des
Systems
über
mannigfaltige
Komponenten
kaum
noch
ad
hoc
technische
Hilfe
bekommen
können,
bleiben
viele
Dinge
auf
der
Strecke,
auch
die
Patientenbehandlung,
weil
man
ständig
mit
der
Administrative
beschäftigt
ist,
nicht
aber
in
der
Therapie.
Innerhalb
der
letzten
zwei
Wochen
musste
ich
50%
meiner
Arbeitszeit
opfern,
weil
ein
Router
defekt
war,
die
KokoBox
getauscht
werden
musste
und
das
Backup-Programm
nicht
funktionierte.
Hilfe
für
solche
Störungen
zu
finden,
erweist
sich
mittlerweile
als
nerven-
aufreibend,
da
überall
Fachkräfte
fehlen.
Mir
sind
ältere
Kollegen
bekannt,
die
allein
wegen
dieser
technisch
und
zeitlich
aufwändigen
sowie
kostenintensiven Umstellungen ihre Praxen eher aufgeben als
gewollt.
Der
Bürokratismus
raubt
uns
mittlerweile
50%
der
Arbeitszeit.
Zu
Beginn
unserer
Tätigkeit
vor
30
Jahren
waren
es
noch
10%.
Ich
brauche
es
nicht
zu
beschreiben.
Sie
kennen
es
selbst.
Wollte
ich
alle
Bedingungen
er-
und
alle
Zettel
ausfüllen,
könnte
ich
nicht
mehr
therapieren.
Insofern
werde
ich
auf
immer
mehr
Ebenen
anfechtbar.
Informationsfluss,
-menge
und
-vielfältigkeit
sind
nicht
mehr
beherrschbar,
zumal
sie
sich
häufig
widersprechen
(z.B.
bez.
Corona).
Zudem
tötet
die
Gesamtheit
der
Datenmenge
und
Vorschriften
das
Vertrauen
in
die
eigene
Fähigkeit
der
Problembewältigung
sowie das Vertrauen untereinander und schafft maßlose Gängelung.
Jahrelang
sind
wir
durch
Wirtschaftlichkeitsprüfungen
und
Regressforderungen
malträtiert
worden,
die
zwar
einem
festgelegten
Prozedere
folgten,
aber
mit
den
Möglichkeiten
im
Praxisalltag
nichts
mehr
zu
tun
haben.
Ich
kann
mich
an
kein
einziges
Verfahren
erinnern,
in
dem
ich
mich
mit
Erfolg
rechtfertigen
konnte
oder
bei
dem
die
teils
katastrophalen
Arbeitsumstände
zu
Einsichten
bei
den
Prüfern
geführt
hätten,
von
den
humanistischen,
moralisch-ethischen
Bedingungen
des
Arztberufes
mal
abgesehen.
Eine
Gesundheitsbehandlung
kann
eigentlich
nicht
nach
rein
profitablen
oder
wirtschaftlich effizienten Gesichtspunkten geführt werden, ebenso wenig wie ich die Patienten alle in drei Systemschubladen stopfen kann und wer da nicht reinpasst, hat eben Pech gehabt.
Von
mir
persönlich
am
schlimmsten
empfunden
wird,
wenn
man
sich
traut,
die
Gesamtlage
zu
beschreiben
und
zu
opponieren,
dass
es
seit
langer
Zeit
keine
Reaktion
mehr
aus
den
Reihen
politisch
und verwaltungstechnisch Verantwortlicher gibt. Menschliche Ignoranz hat wohl die größte negative Auswirkung auf mentales und seelisches Empfinden sowie Befinden.
In
diese
Bresche
schlagen
ebenfalls
der
ständige
Rechtfertigungszwang
und
die
Möglichkeit
der
Öffentlichkeit
zur
publizistischen
Anprangerung
in
Bewertungsportalen
ohne
die
Option
"Verurteilter",
sich
gegen
die
anonymen
Diffamierungen
wehren
zu
können.
Woher
sollte
man
-
selbst
wenn
man
es
wollte
-
auch
noch
die
Zeit
nehmen?.
Die
Verteidigung
der
eigenen
Würde
ist
zu
einem
aussichtslosen Unterfangen
geworden.
Corona
und
jetzige
Energiekrise
treiben
die
Kosten
ins
Uferlose.
Sicher
sollte
jeder
in
dieser
Situation
einen
eigenen
Beitrag
leisten.
Aber
die
stetige
Ignoranz
der
Politik
bei
der
Unterstützung
freier
Praxen
ist
intolerabel.
Im
Gegenteil,
Repressionen,
Regressionen
und
Überwachung
werden
am
Leben
gehalten
und
ständig
ausgebaut.
Wer
nicht
für
das
System
ist,
ist
quasi
dagegen.
Umspült
wir
der
Zustand
von
einer
medial
publizistisch
einseitigen
Berichterstattung,
die
die
Probleme
des
Bürgers
als
Patienten
und
die
der
im
Gesundheitsdienst
Tätigen
nicht
erfasst,
nicht
erfassen
will.
Ein
einmaliges Klatschen vom Balkon muss da wohl genügen.
Ich
erlebe
es
täglich,
teils
im
eigenen
Familienkreis,
oft
über
die
Patienten,
dass
Termine,
wo
auch
immer
im
Gesundheitsbereich,
nicht
mehr
zu
erhalten
sind
und
wenn
überhaupt,
dann
mit
extrem
langen
Wartezeiten
von
Monaten
bis
hin
zu
einem
Jahr.
Viele
ineinandergreifende
Ketten
notwendiger
gesundheitlicher
Betreuung
sind
so
nicht
mehr
realisierbar.
Bei
uns
sind
es
u.a.
Probleme
aus
dem
Bereich
der
CMD
oder
HNO.
Lokale
Physiotherapeuten
haben
eine
Mindestterminwartezeit
von
sechs
Wochen.
Akute
Probleme
sind
so
nicht
mehr
zu
handeln,
Folgeerkrankungen
mehren
sich,
aber
auch
der
bürokratische
Aufwand
bei
immer
wieder
neu
auszustellenden
Formularen,
weil
die
alten
abgelaufen
sind.
Wenn
in
der
einzigen
HNO-Praxis
vor
Ort
jeden
Morgen
zur
Akutsprechstunde
20
bis
30
Patienten
ohne
Termin
stehen,
brauche
ich
da
keinen
mehr
hinzuschicken,
ähnlich
ist
es
bei
der
einzigen
dermatologischen
Praxis,
die
Regelvorlaufzeiten
für
Termine
von
mindestens
neun
Monaten
hat
und
trotzdem
von
Menschen
aus
Ballungsgebieten
wie
Wismar
und
Schwerin
bombardiert
wird,
wo
die
drei
bis
sechs
dort
vorhandenen
Praxen
keine
Aufnahmen
mehr
realisieren
können.
Patienten
aus
Kliniken
und
Krankenhäusern
werden
-
übrigens
unabhängig
vom
Versichertenstatus
-
schon
nach
der
Hälfte
der
sonst
üblichen
Rehabilitationsdauer
aus
dem
OP
halbgar
entlassen,
eigentlich rausgeschmissen, in ein System ambulanter Versorgung, das schon zusammengebrochen ist. Bin ich besuchsweise auf solchen Stationen wird mir klar warum: völlig überlastete, weil auch zu
wenige Schwestern und Ärzte, zumeist beschäftigt mit Schreiben, Schreiben, Schreiben...
Es
ist
desaströs,
ein
Drama,
ein
Dilemma.
Ich
warte
-
nicht
mehr
mit
Spannung
-
auf
den
baldigen
Zusammenbruch,
der
unumgänglich
und
nötig
ist,
jedem
klar
werden
zu
lassen,
was
eigentlich
wirklich
wichtig
ist.
Ich
möchte
eigentlich
Hand
an
den
Patienten
legen
und
das
so,
wie
er
es
braucht
und
wünscht.
Wenn
ich
in
einer
Hand
ständig
ein
Schreibutensil
habe,
geht
das
nicht.
Wunsch
und
Realität liegen seit Jahren unerreichbar auseinander. Als Arzt bin ich nahezu nur
noch
Befehlsempfänger,
Eigenverantwortlichkeit
und
Vertrauen
werden
mir
abgesprochen.
So ist eine gewissenhafte, verantwortungsvolle Tätigkeit mit Hinwendung zum Patienten als Menschen und Hilfesuchenden nicht mehr möglich.
Auch
aus
diesem
Grunde,
verstärkt
durch
stetig
zunehmende
gesundheitliche
Beeinträchtigungen,
haben
meine
Frau
und
ich
die
Kassenzulassung
halbiert.
Die
ständigen
Drohungen,
Repressalien
und
Oktroyierungen
machen
uns
keine
Angst
mehr.
Jede
noch
so
kleine
Restriktion
wird
in
Zukunft
unseren
Ausstieg
-
wenn
nötig
auch
deutlich
vor
dem
möglichen
früheren
Renteneinstiegsalter
-
beschleunigen.
4000
dann
unversorgte
Patienten
werden
zwar
die
bundes(land)weiten
Wählerquoten
nicht
unbedingt
beeinflussen,
aber
der
Druck
vor
Ort,
gerade
in
unserem
unterversorgten
Gebiet,
wird massiv wachsen.
Wir
kommunizieren
eng
mit
den
in
unterschiedlichen
Gesundheitsbereichen
tätigen
Menschen,
die
jeden
Tag
versuchen,
das
Unmögliche
möglich
werden
zu
lassen.
Es
ist
in
weitem
Umkreis
eine
große
Wut
existent.
Und
ehrlich
gesagt,
ich
kann
Schlagzeilen
wie
die
in
der
letzten
dens
'GKV-Finanzstabilisierungsgesetz
-
Schlag
ins
Gesicht
der
Zahnärzteschaft'
nicht
mehr
lesen.
Und
dann?
Schlagen Sie doch mal zurück! Wir sind bereit dazu: eine Woche Streik und das im Verbund mit den anderen Gesundheitsberufen!
Mit kollegialen Grüßen
Thomas Klemp
Grevesmühlen, den 08.11.2022
Wutbrief
an die zahnärztlichen Standesvertretungen M-V Zahnärztekammer und Kassenzahnärztliche Vereinigung